Okuli

Jedes Fernglas und jedes Mikroskop besitzt ein Okular. Das ist die Linse, in die man hineinschaut. Und dann kann man etwas erkennen, was sonst dem Auge verborgen bliebe. Etwas was viel zu weit weg ist, etwas was viel zu klein ist. Das Okular ist die Linse, an die man sein Auge legt, denn Auge heißt auf Lateinisch oculus. Der Plural lautet oculi. So kommt der dritte Passionssonntag zu seinem Namen Okuli. Dies ist sein Eingangsvers:

Meine Augen sehen stets auf den Herrn.
Psalm 25, 15

Wollen wir heute also mit unseren Augen wie durch ein Okular schauen, vielleicht können wir etwas erkennen, was uns sonst verborgen bliebe.
Lass dir das Bild anzeigen!
Kinder üben sich mit Mikroskop und Teleskop. von Böttger d.Ä., Gottlieb (Stecher) - Herzog August Bibliothek, Germany - CC BY-SA.


Lesen wir nun also einige Verse aus der Epistel für diesen Sonntag:
So ahmt nun Gott nach als geliebte Kinder und wandelt in der Liebe. ... Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.
Epheser 5, 1-2.8-9
Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart


Meine Frau und ich sind auf dem Deich in Moorburg spazieren gegangen. Da kamen uns Kinder entgegen gerast. Einige auf kleinen Fahrrädern, andere rannten. Ihre Gesichter glühten vor Eifer. Ihr Gebrüll war eindeutig: Sie spielten Räuber und Gendarm. Genauso wie wir es früher auch gespielt haben. Genau das gleiche Spiel. Dafür gibt es keine Anleitung, nie hat es jemand aufgeschrieben, aber Kinder wissen genau, wie es geht.

Der Apostel spricht auch uns als Kinder an. Er tut es nicht, um uns klein zu machen. Im Gegenteil. Von Jesus gibt es diesen berühmten Satz »wenn ihr nicht werdet wie die Kinder ...« Kinder sind voller Eifer. Kinder sind voller Begeisterung. Sie lassen sich nicht ablenken von den Spaziergängern auf dem Deich. Ihre Gesichter glühen. Und sie kennen das Spiel, sie wissen genau, wie es geht.

Die Epistel beginnt mit: »So ahmt nun Gott nach.« Vom griechischen Wort, das dort steht, stammt auch die etwas altmodisch gewordene Bezeichnung »Mime« für Schauspieler. Oder das Wort »mimen« wenn man etwas nachmacht oder vorspielt. Der Apostel sagt uns also heute, wir sollen Gott nachmachen, wir sollen Gott spielen. So wie wir als Kinder Räuber und Gendarm gespielt haben, sollen wir nun mit Feuereifer Gott spielen.

Gott spielen. Das kann man auch falsch verstehen. Aber genauso wenig, wie uns das Wort Kinder klein machen will, genauso wenig ist gemeint, dass wir uns mit der Nachahmung Gottes größer machen, als wir sind. So natürlich nicht. Nicht das Aufspielen ist gemeint, sondern das Spiel der Kinder. Sich hinein begeistern in eine andere Wirklichkeit. Das Spiel erleben als eine Realität. Durch ein Okular schauen in eine Welt, die dem menschlichen Auge sonst unsichtbar wäre.

Und weil die Erwachsenen die alten Spielregeln vielleicht vergessen haben, wirft uns der Apostel zur Erinnerung drei Begriffe zu wie Bälle: Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.

Und mehr muss er auch nicht sagen. Da sind die Regeln für dieses Spiel plötzlich alle da. Wir wissen, wie das Spiel geht. Wir können Gott spielen. Wir machen ihn nach. Unsere Gesichter glühen. Wir sind die Kinder des Lichts.